Zeit, um sie bis an den Rand zu füllen
von Sr. Josefa Thusbaß
Der Allerheiligentag gestern und Allerseelen heute sind zwei Zeit-Punkte im Jahr, die uns nicht nur an unsere lieben Verstorbenen, sondern auch an unsere eigene, begrenzte Lebenszeit, an unsere zeitliche Vergänglichkeit erinnern. Doch, was ist diese Zeit, die da vergeht? Im Alltag vermitteln uns die Uhren das Gefühl, als würden sie durch ihr gleichmäßiges Ticken die Zeit „herstellen“, auch in Kalendern ist sie ganz selbstverständlich in gleich große Spalten aufgeteilt, und der Tag- und Nachtrhythmus ist längst schon auf Jahrhunderte hinaus verlässlich vorausberechnet. Unsere modernen Atomuhren messen die Zeit mit winzig kleinen Quarzkristallen, also mit unerbittlich genauen Atomschwingungen. Dabei kennen wir es aus unserer Sprache sehr wohl, dass Zeit nicht unbedingt etwas Gleichmäßiges für uns ist: Sie kann uns durch die Finger rieseln, quälend langsam dahinkriechen, im Fluge vorbei sein, manchmal ist sie kaum abzuwarten, sie vergeht im Alter schneller als in der Kindheit, und ist irgendwann für uns zu Ende. Wir können Zeit nicht aufhalten, nicht konservieren und mit keinem unserer Sinne wahrnehmen. Und doch regiert sie unablässig unser Leben. Obwohl wir nicht wissen, was Zeit ist, können wir sie vertrödeln oder nutzen, wir können sie totschlagen oder verantwortlich mit ihr umgehen. Ihr Wesen ist uns nicht zugänglich. Seit den griechischen Philosophen bis heute gibt es unendlich viele geschriebene Abhandlungen zum Thema Zeit, doch wer sie liest, weiß am Ende immer noch nicht, was sie wirklich ist. Zeit ist und bleibt eines der großen Geheimnisse unseres Menschseins. Doch eines ist sicher, wer lebt, der hat auch Zeit und wer Zeit hat, der kann diese bis zum Rande mit Leben füllen - solange er noch Zeit dazu hat.